Hochsensibel: Als Mimose, Sensibelchen oder Prinzessin auf der Erbse betitelt führen hochsensible Personen (HSP) oft ein unverstandenes Dasein. Dabei haben sie kaum Einfluss auf ihre Empfindungen. Dass sie sind, wie sie sind, liegt an der speziellen Arbeitsweise ihres Gehirns.

„Jetzt sei doch nicht so empfindlich! Du stellst dich aber auch wieder an! Hör doch einfach nicht hin!“.

Kommt dir das bekannt vor? Gehörst du auch zu den Menschen, die diese oder ähnliche Sprüche öfter zu hören bekommen? Oder bist du jemand, der solch eine Person kennt, die scheinbar schon mit „Kleinigkeiten“ überfordert ist, den halben Tag über ungelegten Eiern brütet und sich ständig über Gerüche, zu grelles Licht oder die Lautstärke beschwert? Wobei ich hier auch sagen muss, dass viele leise unter den Bedingungen leiden, die für andere normal sind. Aber woran liegt es eigentlich, dass sich manche Menschen von Dingen gestört fühlen, die andere kaum wahrnehmen?

Filter im Kopf

Warst du schon mal in einer Parfümerie oder in einem Body Shop, der verschiedenste Pflegeprodukte anbietet? Dann erinnerst du dich vielleicht daran, dass du dieses Geschäft bereits riechen konntest, lange bevor du es betreten hast. Jetzt stell dir vor, du gehst hinein und wirst überwältigt von tausenden von Gerüchen, jedes Produkt leuchtet dir in einer anderen Farbe entgegen, du hörst die vielen Stimmen der Verkäufer und Kunden, irgendwo tickt eine Uhr, es fällt etwas herunter, die Kasse klingelt und auch das Handy der Dame neben dir. Es wird immer lauter und enger um dich herum. Du möchtest eigentlich nur schnell etwas ganz Bestimmtes kaufen. Du wusstest immer genau, wo du es findest. Nun wurde umgeräumt. Du hast das Gefühl, der ganze Laden steht Kopf und die halbe Stadt befindet sich gerade darin. Du bist so überwältigt von den ganzen Eindrücken, dass du schon gar nicht mehr weißt, wonach du eigentlich suchst. Nichts wie raus hier!

Nun stell dir vor, es würde dir jeden Tag, jede Nacht, in jeder Situation so ergehen. Du würdest vermutlich verrückt werden. Damit das nicht passiert, ist unser Gehirn mit Reizfiltern ausgestattet. Wie ein Sieb lassen diese Filter nur Informationen in unser Bewusstsein, die bedeutsam genug sind und eine gewisse Reizschwelle überschreiten. Dinge, die uns bereits bekannt sind, gelangen eher durch das Sieb als Neues (sog. Aufmerksamkeitsblindheit oder selektive Wahrnehmung). Der Rest wird zurückgehalten und bleibt in unserem Unterbewusstsein hängen, ohne dass wir das merken. Wie nehmen diese Informationen zwar auf, wissen es aber nicht.

Bei Personen, die hochsensibel sind, sind die Wahrnehmungsfilter grobmaschiger. Es werden mehr und auch deutlich schwächere Reize durchgelassen, da mehr Reize vom Gehirn als wichtig eingestuft werden. Das bedeutet, das Nervensystem muss viel eher und viel mehr Informationen verarbeiten. Gleichzeitig sind die Abschnitte des Gehirns, welche die Nerven wieder beruhigen sollen, schwächer ausgebildet als bei Menschen, die nicht hochsensibel sind. Reize hallen somit länger nach. Auch das Stresshormon Cortisol wird nachweislich vermehrt ausgeschüttet.

Die Folge ist, das betroffene Personen schneller erschöpft sind und auch mehr Zeit zur Erholung benötigen.

Wie merkt man, ob jemand hochsensibel ist?

Hochsensibilität macht sich – übrigens von Kindheit an – auf verschiedene Arten bemerkbar. Ich möchte hier nur die wichtigsten kurz anreißen. Kein Hochsensibler ist wie der andere. Nicht auf alle treffen alle Punkte gleichermaßen zu. Es sind zu den verschiedenen Punkten gesonderte Artikel geplant. Bis dahin kannst du dich jederzeit mit Fragen an mich wenden.

Entscheidungen

Viele hochsensible Personen können sich nur schwer entscheiden. Das liegt daran, dass sie Informationen (auch Gedanken und Gefühle) tiefer und vernetzter verarbeiten und dabei alle möglichen Optionen und Konsequenzen durchdenken. Besonders Szenen möglicher Katastrophen (die natürlich genau dann einsetzen, sobald man eine Entscheidung getroffen hat) können sie sich sehr bildhaft vorstellen. Also heißt es: Bloß keinen Fehler machen! Daher werden viele Hochsensible als Perfektionisten oder auch Angsthasen wahrgenommen.

Durch das vernetzte Denken sind Hochsensible oft sehr gute Problemlöser für andere Personen. Sie überblicken selbst komplexe und verworrene Angelegenheiten und stellen leicht Zusammenhänge und Querverbindungen her.

Emotion

Hochsensible empfinden eigene Emotionen überdurchschnittlich stark und nehmen auch Stimmungen und Emotionen anderer leicht auf. Manchmal sogar, bevor es die anderen selbst wahrnehmen. Da sie sich prinzipiell schlechter abgrenzen können, kann es hier schnell zu Gefühlsausbrüchen kommen. Die hochsensible Person „reagiert über“.

Da sie in der Regel viel Erfahrung mit Ablehnung und verletzenden Äußerungen gemacht haben und wissen, wie sehr man darunter leiden kann, möchten sie selbst nicht für solche Leiden bei anderen Menschen verantwortlich sein. Deshalb fällt es ihnen oft schwer Nein zu sagen. Aus Angst, andere zu enttäuschen oder zu belasten, stellen sie eigene Bedürfnisse hinten an.

Auf Grund dieser Eigenschaften werden sie oft von Menschen aufgesucht, die Rat oder einfach nur ein offenes Ohr und Verständnis brauchen. Viele Hochsensible nehmen sich dieser Rolle gerne an. Sie müssen allerdings sehr stark darauf achten, sich rechtzeitig wieder Abstand zu gönnen. Denn nur, wenn es ihnen selbst gut geht, können sie anderen hilfreich zur Seite stehen. 

Sinne

Hochsensible sind gegenüber optischen Wahrnehmungen, Geräuschen, Gerüchen, Geschmacks- und Hautempfindungen sehr viel empfänglicher als andere. So spüren sie beispielsweise permanent ihre Kleidung auf der Haut oder fühlen sich durch kleinste Falten in der Socke oder im Laken extrem beeinträchtigt. Nebengeräusche können schlecht ausgeblendet werden und Gerüche können extrem belästigen. Hochsensible reagieren darauf früher als ihr Umfeld.

Meist sind alle Sinne von dieser intensiven Wahrnehmung betroffen. Oft jedoch sticht dabei ein Sinn nochmals deutlich hervor (bei mir sind es Gerüche, dicht gefolgt von Geräuschen). Es ist übrigens nicht das Sinnesorgan selbst dafür verantwortlich, sondern die neuronale Verarbeitung im Gehirn. So kann auch jemand, der schlecht hört, von Geräuschen überfordert sein.

Überreiztheit

Wenn eigene Bedürfnisse von anderen, aber auch von den Betroffenen selbst, nicht wahr- oder ernstgenommen werden, können hochsensible Personen sehr ungemütlich werden. Plötzlich ist da keine Spur mehr vom zart besaiteten Wesen, das alles richtig machen möchte. Besonders belebte, unruhige Umgebungen mit (mehreren) Menschen oder anstehende Veränderungen sorgen für nachlassende Konzentration, Nervosität und Stress-Symptome wie Herzrasen, Magendruck oder Schwitzen. Hochsensible reagieren auf diesen Stress launisch, gereizt oder sogar aggressiv.

Hochsensible kommunizieren anders

Viele Hochsensible drücken sich oft nur in Andeutungen aus. Sie selbst erkennen bei ihrem Gegenüber winzige Änderungen in Mimik, Gestik oder Stimmlage und ziehen daraus ihre Schlüsse. Da sie das für normal halten, erwarten sie, dass auch alle anderen solche feinen Änderungen wahrnehmen. Da der Gegenüber das womöglich einfach nicht erkennen kann und demzufolge auch nicht „richtig“ reagiert, wird er vom Hochsensiblen schnell als egoistisch und ignorant wahrgenommen. Streit und Stress ist vorprogrammiert.

Eine große Stärke: Auf Grund der Fähigkeiten, diese feinen Veränderungen wahrzunehmen, verfügen Hochsensible über eine gute Menschenkenntnis und erkennen so zum Beispiel leicht Unaufrichtigkeiten oder Widersprüche zwischen Gesagtem und dem körperlichen Ausdruck währenddessen.

Hochsensibilität und Hochbegabung

Mit der Hochsensibilität geht auch oft (nicht immer!) die Hochbegabung bzw. Vielbegabung einher. Begriffe, die inzwischen immer häufiger zu finden sind, sind zum Beispiel „High Sensation Seeker“ oder „Scanner Persönlichkeit“.

High Sensation Seeker

Ihnen wird es schnell langweilig. Sie sind schnell stark unterfordert und deswegen ständig auf der Suche nach neuen Herausforderungen, intensiven Gefühlen, Erfahrungen und Entdeckungen. Dies kann (muss aber nicht!) auch mit einer größeren Risikobereitschaft verbunden sein, was dem oft vorsichtigen Wesen einer hochsensiblen Person widerspricht. Vereinfacht gesagt fordert hier das Gehirn verstärkt nach ausgeprägter Aktivierung (z.B. durch Nervenkitzel beim Extremsport).

Scanner Persönlichkeit

Auf den ersten Blick scheint es sich um dasselbe Phänomen zu handeln, wie beim High Sensation Seeker. Die Scanner Persönlichkeit verfügt über vielseitige Interessen und es kann sogar zu körperlichen Einschränkungen und anderen Stressreaktionen kommen, wenn sie glauben, sich für ein Themengebiet entscheiden zu müssen. Sie springen von einem Thema zu nächsten, oft ohne das vorherige abgeschlossen zu haben. Es wird einfach zu schnell langweilig. Im Unterschied zum High Sensation Seeker kann der Scanner sich nicht auf wenige Themengebiete beschränken und wird immer eine volle Bandbreite leben wollen.

 

Neben der Hochbegabung gibt es natürlich noch weitere ergänzende Persönlichkeitsmerkmale bei Hochsensiblen. So können sie zum Beispiel introvertiert, extravertiert oder ambivertiert sein. Was das bedeutet, kannst du hier nachlesen. 

Hochsensibel sein ist weder gut noch schlecht

Wie alles im Leben lässt sich Hochsensibilität nicht nur in Schwarz oder Weiß betrachten. Den zahlreichen Stärken sind natürlich auch entsprechende Schattenseiten gegenüber gestellt. Welche Seite überwiegt, ist von der jeweiligen Person und dessen Einstellung zur Hochsensibilität abhängig. Viele Hochsensible sind sich ihrer Stärken gar nicht bewusst und empfinden ihr sensitives Dasein als Belastung. Der Grund dafür liegt häufig darin, dass sie (bereits in der Kindheit) viel Erfahrung mit Ablehnung und Ausgrenzung machen mussten. Sie haben nie lernen können, ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen („Sei doch keine Heulsuse und reiß dich mal zusammen!“).

Kurz gesagt:

  • Hochsensible verfügen über ein reiches Innenleben und grobmaschige Filter im Kopf, die viele und auch schwache Reize durchlassen.
  • Diese Reize wollen verarbeitet werden.
  • Abschirmung und Abgrenzung ist „naturgemäß“ schwer.
  • Folge: Gereiztheit, Erschöpfung und (durch negative Erfahrungen auf Grund ihres „Soseins“) oft ein geringes Selbstwertgefühl.
  • Was hilft? Ausreichend Ruhephasen, Fokus auf Stärken der Hochsensibilität.

Bist du hochsensibel?

Elaine Aron entwickelte einen Selbsttest, mit dem Betroffene sich auf Hochsensibilität testen können. Hier kannst auch du dich testen.

Aber: Es handelt sich dabei nicht um einen wissenschaftlich gültigen Test. Dieser Test kann nur Hinweise zur eigenen Hochsensibilität liefern und als erster Anhaltspunkt dienen. Kein Test ist so treffsicher, dass du dein Leben ausschließlich danach ausrichten solltest.

Bist du auch hochsensibel? Oder kennst du jemanden, der das sein könnte? Wie gehst du damit um? Hast du Fragen zum Thema? Hinterlasse doch einen Kommentar oder schreibe mir eine Nachricht.

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Anett Enderlein - Psychologisches Coaching

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