„Ich bin zu empfindlich.“ – Beschreibst du dich auch manchmal als zu empfindlich, zu ruhig oder nicht gut genug? Und ist dir in diesen Momenten eigentlich bewusst, dass es sich um eine Wertung handelt? Und nicht um eine Eigenschaft deiner Person?

Falls du dir darüber bisher wenig Gedanken gemacht hast, lies unbedingt weiter. Denn das Bewusstsein darüber, ob es sich bei Aussagen um beschreibende Eigenschaften oder um Bewertungen handelt, beeinflusst wie du dich selbst wahrnimmst.

Schon durch das Kennen und Verstehen der Unterschiede kannst du dein Selbstwertgefühl stärken.

Wie du das üben kannst und warum es für ein gesundes Selbstwertgefühl wichtig ist, den Unterschied zu kennen, erfährst du in diesem Artikel.

Was ist der Unterschied zwischen einer Eigenschaft und einer Bewertung?

Eine Eigenschaft ist eine objektive Beschreibung, bei der es wenig zu diskutieren gibt. Ein einfaches Beispiel wäre „Der Sessel ist grau“. Diese Beschreibung wird dir jeder bestätigen können. Vielleicht erkennen einige Menschen verschiedene Abstufungen des Grautones und können ihn dadurch noch näher beschreiben. Aber der Sessel bleibt grau.

Wenn du hingegen sagst „Der Sessel ist schön“ oder „Der Sessel ist bequem“, dann ist das eine Bewertung, die du dem Sessel gibst. Eine andere Person kann das ganz anders sehen als du. Sie findet das Grau vielleicht total schrecklich oder das Polster viel zu hart.

Nehmen wir als weiteres Beispiel eine Aussage über eine Person: „Du bist schlau.“ – Was meinst du, ist das eine Eigenschaft oder eine Bewertung?

Jetzt könnte man meinen „schlau sein“ ist doch eine Eigenschaft. Genauso wie „schön“ oder „bequem“ ja auch den Sessel beschreibt. Aber wie schon oben beim Sessel gesehen, ist auch „schlau sein“ relativ. Findet jeder Mensch, dass diese Person schlau ist? Schlau in Bezug auf was? Im Vergleich zu wem?

Eine nicht wertende Eigenschaft könnte hier zum Beispiel sein „Du weißt mehr über Hunde als ich“. Das könnte eine Tatsache sein, wenn sie denn stimmt. Wenn z.B. die andere Person ein ausgebildeter Hundetrainer ist und du selbst mit Hunden nicht viel am Hut hast.

Noch konkreter, und damit einfacher zu unterscheiden, wird es, wenn du ganz genau benennen kannst, was die andere Person in deinen Augen „schlau“ macht. Das kann z.B. das Abschlusszeugnis der Person sein. Dann würdest du sagen „Du bist ausgebildeter Hundetrainer“. Egal, welche persönliche Meinung jemand dazu hat, die Ausbildung ist eine nachweisbare Tatsache. Aber auch die Erfahrung ohne ein Zeugnis ist natürlich eine solche Tatsache.

Warum sollte ich den Unterschied zwischen Eigenschaften und Bewertungen kennen?

Wie du wahrscheinlich schon festgestellt hast, kann es einen sehr großen Unterschied machen, wie du Dinge, Situationen oder Menschen beschreibst.

Sobald du in die Wertung gehst, bist du nicht mehr objektiv. Zugegeben, so ganz objektiv kann kein Mensch sein. Es schwingt immer das eigene Gefühl, die eigene Wertung irgendwie mit rein. Wir sind eben Menschen und keine Maschinen.

Trotzdem kannst du durch eine möglichst objektive Beschreibung von „beweisbaren“ Eigenschaften z.B. Konfliktsituationen deutlich entschärfen. Egal, ob es sich um Streitmomente handelt oder um einen inneren Konflikt, den du mit dir selbst austrägst.

Was hat das Selbstwertgefühl mit Bewertungen zu tun?

Wenn du dir den Eingangssatz noch mal anschaust – „Ich bin zu empfindlich“ – und ihn vielleicht auch mal laut aussprichst, wie fühlt sich das denn für dich an?

Wie fühlt es sich hingegen an, wenn du sagst „Ich bin empfindlich“?

Der Unterschied mag dir vielleicht zunächst winzig erscheinen, die Auswirkungen sind aber umso größer.

Im ersten Satz bewertest du dich. Du vermittelst dir selbst, dass du von etwas zu viel bist. Zu viel, zu wenig – das wird in der Regel als schlecht empfunden.

Im zweiten Satz geht es allein um die Tatsache, dass du empfindlich bist. Gut, das mit dem Beweisen ist in diesem Fall etwas schwieriger. Aber ich denke, du verstehst was ich meine. Denn „empfindlich sein“ könnte ja in dem Fall auch etwas Gutes sein. Eine gewisse Empfindsamkeit ist z.B. für so manche Berufsgruppen eine entscheidende Fähigkeit.

Wenn du dich nun überwiegend bewertend beschreibst, statt dich an deinen „objektiven“ Eigenschaften zu orientieren, sagst du deinem Unterbewusstsein die ganze Zeit, „was du wert bist“.

Jetzt ist es aber auch ganz wichtig zu wissen, dass wir nicht einfach aufhören können, uns zu bewerten. Wir können auch nicht einfach damit anfangen uns ab sofort nur noch positiv zu bewerten, wenn wir uns bisher überwiegend negativ sehen. Unser Inneres, unser Unterbewusstsein wird uns einen Vogel zeigen und uns das nicht abnehmen.

Bewerten liegt in unserer Natur. Es gibt gute Gründe dafür. Und es hat ebenso einen Grund, wenn wir uns eher negativ bewerten, statt positiv. Aber dazu mal mehr an anderer Stelle.

Das Ding ist nun, dass wir mit jeder erneuten (negativen) Bewertung unser unterbewusstes Selbstwertempfinden bestätigen und festigen. Denn damit trainieren wir unseren Reizfilter im Gehirn (RAS – retikuläres Aktivierungssystem) genau darauf, nur solche Informationen zu uns ins Bewusstsein durchzulassen. Alle anderen Informationen werden als falsch oder nicht wichtig genug eingestuft und bleiben uns verborgen. Das Gehirn muss Informationen ausfiltern, um uns vor einer permanenten Überreizung zu schützen.

Wenn ich nun also eine negative Grundeinstellung mir gegenüber habe und dann auch noch überwiegend wertend über mich denke oder spreche, festigt sich diese negative Grundeinstellung und schränkt meine Wahrnehmung auf alles Positive ein. Ich fühle mich somit immer wieder minderwertig. Mein Gehirn sucht immer wieder nach Informationen, die diese Minderwertigkeit bestätigen.

Das Gute ist: Das RAS, der Wahrnehmungsfilter, kann umtrainiert werden. Und der erste Schritt liegt darin, diese Unterscheidungen, und damit die verschiedenen Botschaften der beschreibenden und bewertenden Aussagen, zu erkennen.

Wenn du das zuverlässig kannst, steigest du dein Selbstbewusstsein und dein Selbstwertgefühl. Das wiederum lässt dich selbstsicherer auftreten.

Es sind die vielen kleinen (und oft unterschätzten) Schritte, die irgendwann den Unterschied machen.

Wie kann ich das Erkennen dieser Unterschiede üben?

Um dein Bewusstsein bezüglich dieser verschiedenen Aussagen zu schärfen, kannst du zunächst Aussagen sammeln, die du über dich triffst.

Du kannst auch Aussagen sammeln, die andere Menschen über dich treffen. Oder welche, die du über andere Menschen triffst. Zum Üben ist das völlig egal, um wen es dabei geht und von wem die Aussage stammt.

Und dann versuchst du zuzuordnen, ob es sich bei der Aussage um eine Wertung handelt oder um eine objektiv beschriebene Eigenschaft. Am einfachsten und übersichtlichsten ist es wahrscheinlich, wenn du dir eine Tabelle vorbereitest, in die du deine gesammelten Aussagen hineinschreiben und das Zutreffende ankreuzen kannst.

Möchtest du schon gezielt an deinem Selbstwertgefühl arbeiten, bleibe am besten direkt bei Aussagen, die du über dich selbst machst. Denn wie du selbst mit dir redest, ist am Ende entscheidend. Was andere sagen ist eigentlich nur Nebensache.

Hast du Fragen oder Ergänzungen zum Artikel? Dann kommentiere gerne unten auf dieser Seite oder schreib mir hier.

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